Atmend den Bogen spannen

Seit dem Erscheinen von Eugen Herrigels Buch ‚Zen in der Kunst des Bogenschießens‘ im Jahr 1948 assoziieren im Westen viele mit dem Bogenschießen nicht mehr eine alte Kriegskunst sondern eine meditative Übung. Das Spannen des Bogens reizt uns, etwas von dieser Transformation zu erfahren.

Herrigel übte fünf Jahre in Japan bei Meister Awa Kenzo, bevor dieser ihm sagte, nun schieße nicht ‚er‘ sondern ‚es‘. Am Anfang des Übens stand der Atem.
Die ersten Versuche Herrigels, den Bogen zu spannen kommentierte der Meister: „Sie können es nicht, weil Sie nicht richtig atmen“ und „mit der richtigen Atmung entdecken Sie den Ursprung geistiger Kraft. Je lockerer Sie sind, desto leichter fließt die Kraft.“ Er fing also an, sich unter Anleitung seines Meisters erst einmal im Atmen zu üben, mit leichtem Summen um die Atmung zu kontrollieren. Er bemühte sich gewissenhaft, den lockeren Atem auf das Bogenschießen zu übertragen. Es wollte nicht gelingen. Der Meister, der das bemerkte, sagte „Das ist gerade der Fehler, dass Sie sich darum bemühen. Atmen Sie so, als hätten Sie nichts anderes zu tun.“
Nach langem Üben gelang es Herrigel dann tatsächlich einmal, sich unbekümmert in die Atmung fallen zu lassen. Er atmete nicht mehr, er wurde geatmet. Im Lauf der Zeit gelang es ihm immer öfter, bei völliger Lockerung den Bogen zu spannen und die Spannung zu halten. So verging das erste Übungsjahr.

Wer von uns zum ersten Mal einen Bogen in die Hand nimmt, ist weder in einem Zen-Kloster in Japan noch bei Meister Awa. Bestenfalls wollen wir im Urlaub eine Gelegenheit wahrnehmen unsere Neugier zu befriedigen, wie es sich anfühlt einen Pfeil abzuschießen. Eben sind wir noch im Meer geschwommen und haben mit jedem Zug der Arme tief Luft geholt und (vielleicht sogar unter Wasser) wieder ausgestoßen. Ohne darüber nachzudenken atmen wir tief und regelmäßig. Kurze Zeit später mit dem Bogen in der Hand stockt uns schon der Atem beim Spannen der Sehne. Die Hand, die den Bogen auf Abstand hält, verkrampft sich ebenso wie die Finger, die die Sehne halten. Arme und Beine stehen unter Spannung. Selbst der Kopf ist fest zwischen den Schultern eingeschraubt. Der Ausruf: „ich kann die Sehne nicht ziehen, der Bogen ist zu schwer für mich!“ hilft nicht. Jetzt hilft nur Atmen! Den Bogen ablegen, alle Glieder ausschütteln und atmen. Atmend nehmen wir den Bogen wieder in die Hand. Wir werden es nicht gleich schaffen, uns ‚unbekümmert in die Atmung fallen zu lassen‘. Wer Atemerfahrung hat, dem wird es leichter fallen, nun absichtslos atmend selektiv nur die Muskeln im Rücken zu spannen, die wir brauchen um die Hand, die die Sehne hält, nach hinten zu ziehen. Alle anderen Muskeln bleiben locker. Und nur mit gleichmäßiger Atmung können wir verhindern, dass die Hand, die den Bogen hält, anfängt zu zittern. Nach einigen Versuchen stellen wir fest, mit lockerer Atmung und lockeren Muskeln ist es gar nicht so schwer, den Bogen zu spannen.

Und nun wird das Lösen der Spannung im Schuss aus konzentrierter Ruhe und Gelassenheit zu einer lustvollen Herausforderung. Das Öffnen der gekrümmten Finger, die die Sehne halten, geschieht so, wie sich eine Blüte öffnet. Es geschieht einfach. Ohne willentliche Anstrengung. Es ist eine erstaunliche Erfahrung, den Moment, in dem wir die Sehne aus der Spannung entlassen, den richtigen Moment – griechisch kairos -, in dem der Pfeil sein Ziel erreicht, mit zunehmender Übung mit unserem Unterbewusstsein zu erspüren. Atmend im Spannen des Bogens können wir uns selbst vergessen.

Text zum Kurs ‚Atmen § Meer‘ im August 2017 in Kreta mit Helga Segatz und für das Bogenschießen Matthias J. Ulrich

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