Betreff: 0001 0000

Lieber Nikolas,

kannst du das Betreff lesen? Wenn nicht, gebe ich dir einen Hinweis: 2 hoch 4. Na, jetzt rappelt es in deinen Hirn. Wenn ich das richtig weiß, bist du in der Schule in einem Zug, der nur zwei Zahlen kennt. Binär zu denken, fällt uns noch schwer. Bei Manchem geht das schon, z.B. richtig oder falsch, gut oder böse. Stopp, da wird es schon kritisch. Jahrhunderte streiten Philosophen darüber, was gut ist. Gut für wen? Muss man zuerst fragen. Das ist dann schon die halbe Antwort. Ich habe einmal für mich eine Antwort dazu formuliert: <Gut ist, was dem Leben dient>. Das kann man natürlich auch noch auslegen. Was dient denn dem Leben? Welches Leben? Für Pflanzen, Tiere, Menschen allgemein, oder für mein Leben? Letzteres wäre mir sympathisch. Ist aber, so würden wir sagen, egoistisch. Und ist Egoismus gut oder böse? Böse bestimmt nicht, aber gut? Wir haben das schöne Wort Altruismus. Das gilt bei einem Großteil der Menschen als etwas Gutes. Andere sagen, so blöd muss man sein, nur an Andere zu denken, was ja in der Wortbedeutung drinsteckt. Die Werteküche fängt schon an, zu brodeln.

Jetzt, an deinem 0001 0000. Geburtstag, kommst du in ein Alter, in dem du Entscheidungen treffen musst, besser gesagt, treffen kannst. Das geht schon los damit, was du über deine Freiheiten (ohne Einfluss der Eltern) denkst. Das Stichwort dazu heißt Verantwortung. Da wird es schon wieder schwer, wem du nun verantwortlich sein sollst. Im Wort steht ja drin, dass es um Antworten geht. Da muss es also Jemand geben, der Fragen stellt. Oh, oh, wer fragt denn da? Der Lehrer, die Eltern, die Polizei, der Anführer bei den Wandervögeln, und und und. Das muss alles sortiert werden in deinem jetzt 0001 0000 altem Gehirn.

Ich erinnere daran, was ich in deinem jetzigen Alter Besonderes tat: mit einem Freund machte ich mit Zelt und Kochtopf auf dem Rad eine Tour von zu Hause nach Süddeutschland, ca. 11111010000 km. Dabei lernten wir auch gleichaltrige Mädchen kennen. Das fühlte sich an, als würde jetzt das Leben wirklich anfangen, auf sich gestellt, das zu machen, was jetzt geschieht. Verantwortung? Nur für sich selber. Das ist doch etwas Merkwürdiges, sich selbst als Fragendem, wenn auch unbewusst, zu erleben.

Mit freudigem Gefühl erinnere ich mich an unsere Ostertour in Kreta und Athen. Und daran, dass du in Situationen, die mir schwer fielen, mir geholfen hast. Und auch nicht anfingst zu klagen, als wir auf der Rückreise von Athen kein Bett bekamen. Ja, das Leben. Meines geht ja jetzt dem Ende zu. Und ich kann sagen, wenn es mir dreckig ging, ging es mir darauf saugut. Und natürlich auch umgekehrt. Zu deinem Geburtstag heute wünsche ich dir, dass du in allen Lebenslage etwas behältst, was die Griechen αταραξία nannten. Übersetzt bedeutet das Gemütsruhe. Gemüt, was ist das denn? Alles, was dich aufregt oder beruhigt. Das Lieblingsgefühl der Deutschen ist Gemütlichkeit. Das wünsche ich dir nicht. Im Gegenteil, je aufregender das Leben ist, desto erfüllter wird es sein. Meine Übersetzung von αταραξία ist Gelassenheit. Bei deinem Besuch hier in Kreta habe ich diese bei dir schon erlebt. Das war mir ein Vergnügen.

Mach weiter so …