Minotavros

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Sinnen über den Sinn

Zum vollen Leben gehört auch Sinnfülle
wie zum vollen Sinn Lebensfülle.
(Karl Kerényi)

 

Spiel mit Worten zum sonntäglichen Frühschoppen

Sinn, was ist Sinn?

Ohne Sinn ist unser Leben sinnlos, wohlmöglich sinnenhaft aber nicht sinnvoll. Wir können unsere Sinne noch so schärfen, den Sinn sehen, schmecken, fühlen, hören, ertasten wir nicht wirklich (real), wir können ihn uns allenfalls vorstellen als ein Abstraktes.
Sinn hat mit Sinn nichts zu tun, konnte man hören. Das eine kommt von Sinnen, sich auf den Weg machen, reisen, und das sei der wahre Sinn vom Sinn; das andere habe zu tun mit αισθάνομαι, fühlen, wahrnehmen, und das habe mit dem Sinn des Lebens nichts zu tun. Wahrhaftig, seit zehntausend Jahren gucken wir uns die Augen aus und sperren die Ohren auf und wissen noch immer nicht, was denn der Sinn vom wahren Sinn sei.
Das Einzige, was wir davon wissen, ist, dass wir einen Sinn haben sollten. Jeder Einzelne muss einen Sinn haben, wehe dem, der ihn verliert oder verloren hat. Dem muss geholfen werden. Und wie? Mit einer Psychoanalyse! Womit kann diese helfen? Mit dem eigenen Sinn des Analytikers? Gibt es Sinn zu verschenken?

Bevor wir in die Büchse der Pandora greifen, ist es möglicherweise sinnvoll, etwas genauer nachzusinnen, was Sinn denn sei. Einen Hinweis könnten wir erlangen, wenn wir die verschiedenen Sprachwurzeln betrachten:
sinnan ahd. reisen, gehen, wandern, trachten nach
sinnen mhd. gehen, reisen, wahrnehmen, seine Gedanken auf etwas richten
zinnen nl. erstreben, denken, nachsinnen
sinna afries. sinnen, beabsichtigen
sinnan aengl. wandeln, beachten
sentire lat. fühlen, empfinden, wahrnehmen
sensus lat. Empfindung, Gesinnung, Ansicht
sind ahd. Weg, Richtung, Seite
sint mhd. Reise, Fahrt
sindon ahd. sich auf den Weg begeben, reisen
sét awest. Weg
hynt kymr. Weg
siusti lit. senden, schicken
hint engl. Hinweis, ‚Wink‘

Sprachwurzeln haben auch Sprachverwandtschaften, Familienangehörige:
think denken
thin dünn
dünken (im Dunkeln sinnen)
seem (it seems to me)
sense (common sense)
oder auch Sprachzusammenhänge wie “der ist ja von Sinnen”, “jemand zur Besinnung bringen“, talk sense = vernünftig reden.

Aus dem Wortsalat wird klar:
Wenn sich jemand etwas in den Sinn gesetzt hat, weiß er, wo es lang geht. Sinn ist Hülse für das, was ich will. Womit ich den Sinn fülle, hat mit dem Sinn an sich nichts zu tun. Sinn ist Richtung, Wegweiser, Ziel, Vektor, jedoch ohne Inhalt, welche Richtung, welches Ziel. Über den Sinn als Inhalt zu reden ist sinnlos, über den Inhalt des Sinnes zu reden ist sinnvoll.
So könnten wir anfangen uns zu verständigen, was ist der common sense in der Psychoanalyse, unter Psychoanalytikern, was ist der special sense? Müssen wir eine Ethikkommission einsetzen, um uns sagen zu lassen, was, wohin wir denken, fühlen, tastend vorangehen sollen?

ήθος [Ethos] = Wohnort, Standort, Heimat, Weideplatz(!), Stall und alles, was sich danach richten soll: Charakter, Sinnesart, Denkweise, Gefühl, Sittlichkeit.

Es klingt so schön: „Wir müssen über den Sinn nachdenken!“ Und wenn Menschen durch Schicksal ihren Sinn verloren haben (Flüchtlinge aus Bosnien, Herzegowina, Syrien, Afrika), schnell, schnell, gebt ihnen wieder einen Sinn, sonst werden sie haltlos, machen dummes Zeug. Lieber Papa Staat, schenk uns einen Sinn, damit wir sinnvolle Glieder der Gesellschaft sein können. Oder: Liebe Mama Psychotherapie, schenk mir einen Sinn, damit mein Leben wieder einen Sinn hat.

Gerade hat das junge Pflänzchen Psychoanalyse dazu beigetragen, dass uns mit dem Erkennen des mentalen Apparates die Programmierbarkeit unseres Handelns bewusst wurde.
– Ja, Herr Zwischenrufer, die Psychoanalyse ist ein Werkzeug auch der Ontologie!. –

Die Brücke war gebaut für eine Philosophie des ‚Schauens, was ist‘ (Wittgenstein), Voraussetzung für den Abbruch der sogenannten ‚absoluten Werte‘, die ja nichts anderes waren als gut funktionierende Scheuklappen zur Verhinderung einer Rundumsicht auf all die anderen Dinge außerhalb des eigenen Stalls (Stall = hier bist du hingestellt, du hast dich nicht zu bewegen).

Der Abbruch war radikal. Die Orientierungslosigkeit ist offensichtlich. Das entstandene Vakuum wird durch neue Heilslehren gefüllt. Mit den Heilslehren kommen die Heilslehrer und sagen, wir brauchen eine neue Ethik! Sie verraten nicht, dass sie ihren eigenen Stallgeruch gerne riechen und es am liebsten hätten, wenn die ganze Welt danach riecht. Welche Chance, wenn Patienten kommen und über Sinnlosigkeit klagen: Denen kann geholfen werden. „Jeder Therapeut sollte sich auf seinen Sinn verlassen, hier ist das Fundament seines Handelns.“ Ja, Frau Referentin, so lange Sie nur Augustinus mit seinem unendlich auslegbaren ‚ama!‘ zitieren. Sie wissen natürlich, dass unter dem Mantel der Liebe schon immer die subtilste Aggression verhüllt wurde.

Die alt-moderne List ist der Sozial-Anspruch. Ich helfe den Ärmsten der Armen (heute: arm = Frau, die Ärmsten = vergewaltigte Frauen), also bin ich gut. Dass hieraus das höchste Potential an Omnipotenzgefühl zu ziehen ist, ist quasi mathematisch beweisbar. Nebenbei assoziiert: gut, Güter, Gott, mit unendlichem Gedankenfluss.
siehe dazu auch https://www.minotavros.de/gut-gueter-gott/

Da lob‘ ich mir den Papa Freud, wenn er sagt: „nur Wahrheit interessiert mich, Geldverdienen nicht vergessen.“
(damit der Wein nicht ausgeht).

Noch ein Fluchtachtel: „Patientengesindel“

Das Gesinde = die, die für Lohn meinen Sinn annehmen, in meinem Sinn arbeiten.
Das Gesindel = die, die keinen eigenen Sinn haben, sich für jemandes Sinn hergeben = wertlose Menschen.
Umkehrende Perspektive (= Sinngebung):
Denen, die von Sinnen sind, gegen Geld einen Sinn geben = Psychotherapie

Auf einen letzten Schluck: „Prost!“

Geschrieben am 27.02.1994 (geringfügig aktualisiert) unter dem Eindruck eines Symposions von Psychotherapeuten des ÄWK Südbayern am Vortag mit dem Thema: <Wertvorstellungen in der Psychotherapie und –analyse>. Untertitel: <Brauchen wir eine neue Ethik?>

1 Kommentar zu „Sinnen über den Sinn“

  1. ach, matthias , heut’ 3.1.17 gesehen-gelesen…die sinn-suche so einfach :
    alles ist + umgibt mich – uns in undurchblickbarer sinn-haftig-keit. manche sagen : ein wunder = vorbestimmt ? wie kam’s, unser hier-sein ? aufgaben
    zugefallen : freudige hingabe; zweifel + widerstände nicht zugelassen.
    und nun alles? getan? noch pflegen + bewahren. mehr braucht’s eh nicht !
    oh, kämst Du doch x des wegs, bei tee, wein, suppe+ pfanne ein-sichten?!

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