Minotavros

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Gut, Güter, Gott

Ich weiß,
dass Gut und böse mit dem Sinn der Welt zusammenhängt,
den Sinn der Welt können wir Gott nennen.
Ludwig Wittgenstein

Dem Deutschen Ethikrat gewidmet

Befehlen hieß im alten Ägypten, bei Ungehorsam droht Pfählen. Das ist die Todesstrafe unter dem Gott Baal. Der aufgerichtete Pfahl als Symbol der Macht, der männlichen Macht, erheischt das Gute. Das Gute ist, was dem Herrschenden guttut. Dem, der erheischt, dem Gott, bin ich unterworfen. In Zeiten der Tyrannis ist Gott der oberste König, der bedingungslos über seine Untertanen und Sklaven herrscht. Je entwickelter eine Gesellschaft ist, umso abstrakter wird Gott. Gott als absolute Instanz ist nicht mehr absetzbar, er ist unsterblich, ewig. Der Kampf der Gesellschaften um Durchsetzung ihrer Interessen geschieht im Namen Gottes, ihres Gottes. Setzen sie sich durch, ist ihr Gott stark. (z.B. Christianisierung Germaniens durch Bonifatius).

Gott ist der, der die Sittlichkeit einer Gesellschaft repräsentiert. So ist sein Wesen auslegbar für die jeweils Herrschenden: Vom anthropomorphen Gott der Griechen zum absoluten Gott der Christen, in dessen Namen Verbrechen an der Gefolgschaft anderer Götter vollführt wurden und werden. Frieden würde einen gemeinsamen Gott voraussetzen, einen Gott, der allen angemessene Güter gibt. Aber selbst das hilft nicht, wenn machthungrige Despoten den gemeinsamen Gott in einen orthodoxen, einen apostolischen oder einen römischen teilen. Der abstrakte Gott im Himmel und auf Erden muss sich das gefallen lassen.

Wenn Gott der ist, der die Sittlichkeit einer Gesellschaft repräsentiert, brauchen wir eine entsprechende Ethik. Wenn wir von dem ursprünglichen Sinn des Wortes ήθος im Griechischen ausgehen, dann heißt es, einen Zaun aufzustellen. Einen Zaun um einen Weideplatz. Das, was innerhalb des Zaunes liegt ist gut, was außerhalb erreichbar wäre, ist böse. Die Höhe des Zaunes ist abhängig von der Instanz, die über das ethische Prinzip wacht. Wenn die Instanz göttlich ist, schließt sich der Kreis.

1930 entwickelte Moritz Schlick (1936 ermordet) eine „theologische Ethik“ alternativ:

Das Gute entspricht dem Willen Gottes;
Anders gesagt und formelhaft abstrahiert:
Das Gute ist gleich Gottes Wirkkraft. Das Gute ist Axiom; die Wirkkraft Gottes hat das Gute zum Ziel.
Oder noch abstrakter, mathematischer:
Das Axiom ist Gott, die Folge ist das Gute. Das Axiom ist das Gute, die Folge ist Gottes Tun in dieser Richtung.

Was ist höherrangig, das Gute oder Gott?

Die Diskussion erinnert an die kartesianische Frage nach dem Grund der Ästhetik:
Das Angenehme ist weniger tief als die Frage nach dem Urgrund einer absoluten Ästhetik (der Frage nach Gott). Siehe auch https://www.minotavros.de/kritik-der-aesthetik

Die Instanz für eine Ethik wird bewertet. Je absoluter die Einordnung, umso fragloser die Ethik. Genauer gesagt, entspricht die Frage der Einordnung dem Grad der Durchsetzbarkeit in der Anwendung der Ethik.

Das ist zweifelsfrei:
Die Ethik ist Richtschnur, Verhaltenskodex, Gesetz, das bei Strafe einzuhalten ist, für das Verhalten von Menschen in einer Gesellschaft, deren gemeinsames Ziel, deren Lebensrahmen und -raum definiert wird. Wer den Rahmen der Ethik überschreitet, macht sich schuldig. Schuld ist, was dem Gemeinsamen schadet. Wer mitten im Wasser der Strömung schwimmt, eckt nicht an. Wer in der Strömung an den Rand gerät, in Untiefen treibt, reibt sich am Grund, wird sündig. Der Gründige muss mit Rückdrift, Wirbeln rechnen, die ihn aufhalten, das große Ziel, das Meer, zu erreichen. Im Meer gibt es keine Sünde mehr. Das Nirvana ist erreicht.

Ethik also heißt: Definition der Fahrtrinne, der größten Wassertiefe, der breitesten Gesellschaftsströmung.

Zäune reizen zum Übersteigen. Erst recht in einer Zeit, in der die Hörner des Teufels stumpf sind. Ethik ist ersetzt durch Gesetze. Gesetze haben Lücken. Der Zaun ist löcherig geworden. Ist es also sinnvoll, sich auf Ethik zu berufen?

Das Unüberschaubare, Undurchsichtige in der Maschinerie der Gesetzgebung durch hochkomplexe Interessenabstimmung der Volksvertreter und Lobbyisten kann erhellt werden durch das Formulieren eines ethischen Grundsatzes. Das, was man gerne als Präambel definiert.

Die ethische Formulierung ist die analoge Form der Willenserklärung. Das Gesetz ist die digitale Programmform. Darin ist enthalten, dass die Unzahl der kleinen Abweichungen, Auswege, Umgehungen nicht erfassbar sind. Das analoge System der Ethik brandmarkt auch den Abweichler.

Ein Kern unserer Politikverdrossenheit ist darin zu erkennen, dass die Nutznießer einer Machtstellung nicht gesetzwidrig handeln. Es ist ihnen nicht beizukommen. Ihr Handeln widerspricht jedoch einer undefinierten Ethik. Ist unser Grundgesetz nicht ausreichend, oder wird es nicht ausreichend zitiert und angewendet?

Wenn dies so ist, brauchen wir eine Ethik-Kommission. Ihre Aufgabe bestände darin zu klären:
a) Abgrenzung der Gesellschaftsteile, für die ein ethisches Prinzip errichtet wird.
b) Beobachten und Beschreibung der Regelkreise innerhalb der Gesellschaftskreise, die zu ethischen Grundsätzen führen.
Beide Normen wandeln sich ständig. Die Kommission hätte die Aufgabe, den Wandel zu protokollieren und öffentlich zu machen.

Nicht Priester, die zu Nutz und Frommen einiger Weniger die Bibel auslegen, bestimmen die Ethik, sondern „Gut“-achter, die das Handeln der Gesellschaft beobachten.
Ein Gott, der keine Heiden kennt, ein Gott für Menschen, deren ήθος = Weideplatz die ganze Welt ist, ein Gott, der Jäger und Gejagte in ein Netz der Ausgewogenheit einspannt. Daraus die Frage, was ist ausgewogen? Wer teilt zu? Wer teilt auf? Wer ist Richter über das Gerechte, Richtige? Die Idee der Tröstung, wenn nicht im Diesseits dann im Jenseits, hat unendlichen Generationen die Hoffnung erhalten, Halt und Sinn gegeben, wenn sie Gejagte waren.

Im kämpfenden Regelkreis ist größte Stabilität, Stabilität durch Wandlung. Das Gesetz der Evolution. Der moderne Gott ist ein Gott im ökologischen Kreislauf. Wenn ich das Du zerstöre, ist das Ich nicht mehr lebensfähig. Das Gesetz der Liebe. „Liebe alles andere wie dich selbst“. Und alles andere ist die Welt. Zerstören wir die Welt, zerstören wir uns selber. Pflegen wir die Welt, werden uns Güter gegeben. Lebensfähigkeit im Kreislauf des Werdens und Vergehens.

Nachtrag aus <Kritik der Praktischen Vernunft>
von Immanuel Kant, S.120
“Nun ist zwar klar, daß diejenigen Bestimmungsgründe des Willens, welche allein die Maximen eigentlich moralisch machen und ihnen einen sittlichen Wert geben, die unmittelbare Vorstellung des Gesetzes und die objektiv-notwendige Befolgung desselben als Pflicht, als die eigentlichen Triebfedern der Handlung vorgestellt werden müssen; weil sonst zwar Legalität der Handlungen, aber nicht Moralität der Gesinnungen bewirkt werden würde.”

Soweit, so gut. Der Teufel steckt im Detail.

Der gesamte Text als PDF-Dokument zum Download.

1 Kommentar zu „Gut, Güter, Gott“

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